[stip-stu] Studiengebührenerlass

Stefan Zadel stefan at zadel.de
Sun Jun 24 10:01:17 UTC 2007


Hallo, zusammen,

mangels eines andere Forums werde ich mich hier auch noch zu Wort melden.

Ich denke, auch die Alumni interessiert das Thema Studiengebühren,
jedenfalls mich. Es interessiert mich zu einen, was mit den Wegen und
Brücken geschieht, über die ich selbst gegangen bin, zum anderen
interessiert es mich sehr, wie es mit der Bildung in Deutschland weitergeht.
Leider ist auf diesem Gebiet seit Jahrzehnten, wie man mittlerweile sagen
muss, aus meiner Sicht in der Breite eine Verschlechterung festzustellen,
obwohl es natürlich auch Verbesserungen gibt. Und natürlich interessiert
mich auch, was mit den Steuern passiert, die man als "Besserverdienender",
zu denen man als Studierter und insbesondere als ehemaliger Stipendiat im
Mittel im größeren Maße gehören wird als der Schnitt der Bevölkerung, in
unserem Staate ja recht ausgiebig zahlen muss.

Ich möchte einfach ein paar Gedanken zur Diskussion beisteuern.

An die Umverteilung von unten nach oben kann ich nicht glauben. Das wird
zwar immer wieder von der Linken behauptet, aber ich denke, die Zahlen sehen
anders aus: Zu bedenken ist, dass man vom Existenzminimum keine Steuern
bezahlt (so z.B. auch Studenten), der Steuersatz dann von anfangs 15 % (für
das, was das Existenzminimum übersteigt) bis 42 % für Beträge über einer
gewissen Grenze, hinzu kommt der Solidaritätszuschlag. Also zahlt man bei
uns Steuern überproportional zum Einkommen. Je nach Familiensituation und
Einkommen (hier für Ingenieure) wird so schnell etwa ein Viertel bis ein
Drittel abgezwackt und der Staatskasse zugeführt. Deshalb frage ich mich, ob
man, wenn man studiert hat und dadurch bessere Verdienstaussichten hat,
nicht schon durch die höheren Steuerbeiträge die Studienkosten wieder
zurückzahlt. Man kann es so sehen, dass die ehemaligen Studenten so für die
heutigen das Studium bezahlen. Das halte ich für viel sinnvoller, als dass
man bei den Studenten, die naturgemäß wenig haben, noch ein paar Euro
herausholt, die in der Summe ohnehin nur einen Tropfen auf den heißen Stein
sind. Letztendlich führt dies meiner Ansicht nach nur dazu, dass die
Familien noch stärker finanziell belastet werden (denn wer wird die
Studiengebühren oft zahlen, doch wohl die Eltern) und in bildungsfernen
Schichten weitere Argumente und Hürden geschaffen werden, dass die Kinder
kein Studium aufnehmen werden. Als Kind nichtstudierter Eltern muss man oft
schon bei kostenlosem Studium reichlich kämpfen, um sich durchzusetzen und
akzeptiert zu werden. Also, die Studiengebühren halte ich für
kontraproduktiv. Denn was wir in Deutschland erreichen müssen, ist, dass
möglichst viele Leute, die das geistige Potenzial haben, ein Studium
aufnehmen.
Möchte man mit den Studiengebühren eine Motivation zur Beschleunigung des
Studiums erreichen, dann könnt dies m.E. auch mit kostenlosen Gutscheinen
für eine begrenzte Anzahl von Semestern geschehen.

Wenn man betrachtet, wovon unser Land lebt, dann davon, dass wir unser
Wissen in Form von Produkten in alle Welt verkaufen. Gäbe es in Deutschland
nur Arbeiter und keine Studierten, dann würden sie sich sicher zusammentun
und eine Universität finanzieren, damit sie morgen auch noch etwas
Interessantes zu produzieren und verkaufen hätten. Und es gibt immer nur
recht wenige Leute, die die zündenden Ideen haben. Wir zehren vor allem noch
von den Ideen von vor den beiden letzten Weltkriegen (Erfindung des Autos,
Maschinenbau, Elektrotechnik). In diesen Sektoren sind wir sehr stark und
exportieren viel, vor allem im mit E-Technik/Software veredelten
Maschinenbau. In der Computerindustrie haben wir praktisch keinen Fuß in der
Tür -- dieses Gebiet hat sich vor allem in der Aufbauphase nach dem 2.
Weltkrieg entwickelt, in der bei uns nicht die Ressourcen da waren, um
Pioniere auf dem Gebiet zu bleiben, obwohl die Anfänge mit in Deutschland
bzw. im deutschsprachigen Raum lagen (Conrad Zuse; John von Neumann, der an
der ersten deutschsprachigen Universität, der Prager Universität, lehrte,
als Jude dann aber auswandern musste). Und neue Gebiete wie die grüne und
rote Gentechnik verschlafen wir wegen zu starker gesetzlicher
Reglementierung, statt ihnen unseren Stempel besonderer Verantwortung und
Gründlichkeit aufzudrücken. Nach dem zweiten Weltkrieg ist es uns bisher in
Deutschland nicht gelungen, wieder Anschluss zu finden an die
wissenschaftlich und technisch unglaublich produktive Zeit davor, als man
als Wissenschaftler Deutsch lernte und nach Deutschland kam, so wie man
heute Englisch lernt und in die USA möchte.
Daraus folgt, dass wir ein essenzielles Interesse daran haben müssen, unsere
fähigsten Leute zu weltweit konkurrenzfähigen oder besser überlegenen
Spitzenleuten auszubilden. Dazu sollen m.E. die Stipendien dienen, es soll
Freiräume schaffen zur weiteren Entwicklung. Dies wird konterkariert, wenn
es durch Studiengebühren aufgesogen wird. Vor diesem Hintergrund halte ich
es für durchaus berechtigt, ja geradezu zwingend, die Studiengebühren zu
erlassen -- das machen meines Wissens übrigens die amerikanischen
Universitäten bei viel höheren Studiengebühren auch. Denn sie wissen, dass
nur ein paar geniale Köpfe genügen, um in der Wissenschaft ganz vorn dabei
zu sein und in der Folge eine Menge von Drittmitteln einzuwerben, die ein
Vielfaches der erlassenen Studiengebühr betragen werden. Das gleiche gilt
auch gesamtgesellschaftlich gesehen.
Also ist es gesamtgesellschaftlich gesehen sicher eine gute Investition, den
besten Köpfen die Gebühren zu erlassen.

Ich bin überzeugt, dass Universitäten sehr schnell ihre Studiengebühren für
hochqualifizierte Studenten streichen werden, wenn sie merken, dass ihnen
diese davonlaufen und zu Unis wechseln, die Hochqualifizierte davon
freistellen.

Und im Übrigen können wir uns unseren Sozialstaat auch nur leisten, wenn
genügend Einkommen generiert wird, das wieder verteilt werden kann. Das
sieht man gerade in der durch ein paar Reformen erkauften wirtschaftlichen
Belebung der letzten Monate.

Soweit ein paar spontane Gedanken.

Vielleicht können wir das Thema ja an einem der nächsten Stammtische wieder
aufgreifen.

Bis dahin viele Grüße

Stefan Zadel


> -----Original Message-----
From: stip-stu-bounces at lists.does-not-exist.org
[mailto:stip-stu-bounces at lists.does-not-exist.org]On Be

> half Of Ralf
Hempel
Sent: Friday, June 22, 2007 10:28 PM
To: stip-stu at lists.does-not-exist.org
Subject: Re: [stip-stu] Studienge

> bührenerlass


Also mir ging es schon um den Grundsatz und nicht um den 

> Einzelfall Uni 

> Stuttgart. Dass die Uni von der gesetzlichen Kann-Bestimmung momentan 

> keinen Gebrauch macht, ist für potentielle Begünstigste sicher nicht so 

> toll, letztendlich aber ihr gutes Recht und damit kein 

> allgemeiner Misstand.

> Wenn schon Gebühren, dann bin ich dafür, dass den Unis viel mehr 

> Spielraum eingeräumt wird, z.B. ob überhaupt und für welche Studiengänge 

>   Gebühren in welcher Höhe erhoben werden. Dann fängt auch langsam 

> Wettbewerb an.

> 

> Wenn man aus einer armen Familie kommt, gleichzeitig aber nur zu den 30% 

> der Besten gehört (und nicht zu den 10%), dann hat man keine Möglichkeit 

> den Gebühren zu entkommen, lebt aber in der Gewissheit, dass ein Teil 

> des eigenen Geldes für Leute bezahlt, die Stipendien bekommen (es also 

> sowieso leichter haben). Ausgleichzahlungen aus anderen Töpfen (Stifter, 

> Bund) müssen sicherstellen, dass dem normalen Studenten kein Nachteil 

> durch die Förderung besonders Begabter entsteht. Das sehe ich momentan 

> nicht gegeben.

> André hat nach einer allgemeinen Begründung gefragt, warum besonders 

> Begabte sich nicht an der Finanzierung der Uni beteiligen sollten. Diese 

> Frage ist meiner Meinung noch nicht beantwortet wurden.

> 

> Wenn ich mich recht erinnere, ist der monetäre Hintergrund der Stiftis 

> repräsentativ für die Gesamtheit der Studenten. Damit besteht also nicht 

> _besonders_ für ärmere Familien die Chance den Gebühren zu entkommen. 

> Die Change ist für ärmere und reichere Studenten gleich.

> 

> Ich möchte hier nicht auf Biegen und Brechen eine Diskussion vom Zaun 

> brechen, wollte aber zumindest mal die andere Seite der Medallie 

> darstellen.

> 

> Viele Grüße,

> 

> Ralf

> 

> 

> 

> Martin Schmalz schrieb:

> > Zum einen schließe ich mich Arno zu 100% an.

> > 

> > Zum zweiten ist es aber nicht an uns zu entscheiden, ob wir die 

> Gesetzeslage

> > gut finden oder nicht (oder sagen wir mal, das ist eine andere 

> Frage). Was

> > uns hier interessieren sollte, ist warum die Uni Stuttgart sich 

> mal wieder

> > im Vergleich zu anderen Unis so unglaublich träge verhält, und somit

> > gewissermaßen gegen die Intention des Gesetzes verstößt... 

> Diesen Missstand

> > wollen wir ausräumen. Es geht nicht darum, das bestehende 

> Gesetz zu ändern,

> > was nun eben vorsieht, dass Spitzenleute befreit werden. Oder 

> (André, Ralf)?

> > 

> > 

> > -----Ursprüngliche Nachricht-----

> > Von: stip-stu-bounces at lists.does-not-exist.org

> > [mailto:stip-stu-bounces at lists.does-not-exist.org] Im Auftrag von Arno

> > Zilliken

> > Gesendet: Freitag, 22. Juni 2007 18:02

> > An: stip-stu at lists.does-not-exist.org

> > Betreff: [stip-stu] (kein Betreff)

> > 

> > 1. Das gesamte Modell der Studiengebühren richtet sich gegen das  

> > Sozialstaatmodell, daher finde ich es unerklärlich und  

> > aufschneiderisch, dass Du es unter diesem Vorwand auch noch verteidigst.

> > 

> > 2. Eine Befreiung von Stipendiaten und/oder überdurchschnittlichen  

> > Leistungen ist nichts weiter, als eine kleine Möglichkeit vor allem  

> > auch für ärmere Familien, den Gebühren zu entkommen, falls jedoch -  

> > und das lese ich zwischen den Zeilen - hier jemand einen Zusammenhang  

> > zwischen dem sozialen Status des Elternhauses und der  

> > Wahrscheinlichkeit, ein Stipendium zu erhalten sehen will, dann hat  

> > er die Bankrotterklärung unseres ach so sozialen Staats bereits  

> > hiermit ausgesprochen.

> > 

> > 3. Ich bin absolut dafür, dass wir einen Versuch starten!

> > 

> > Arno

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